Drachenzyklus
von Xenia Holaya





Erschöpft lag die junge Frau im Gras. In ihren Augen spiegelten sich Sorge und Glück. Liebevoll blickte sie auf das kleine Bündel in ihrem Arm. Ein erst wenige Woche altes Mädchen blickte sie mit klaren blauen Augen an. Liebevoll streichte sie über das mit dunklen Flaum bedeckte Köpfchen. „Mein Baby“. So klein, so zerbrechlich so rosig und zart.
Ein Knistern im Gebüsch, mit einem Satz war sie auf den Beinen. Und stellte sich in den Schatten einer alten knorrigen Weide. Sie ärgerte sich: Sie war viel zu langsam. Wo war ihr Gefährte? Er musste in der Nähe sein. Er würde sie nie alleine lassen. Mühsam kletterte sie in das Geäst der Weide. Sie fühlte sich immer noch kraftlos, es war keine leichte Schwangerschaft gewesen, und ihr geplagter Körper führte ihre Befehle nur mühsam aus.
Ein mächtiger, böser Hexenmeister war hinter ihnen her. Sie schauderte. Kalte, böse Augen. Und ein ebenso kaltes, böses Herz. Wie hatte sie sich nur so irren können? Und dann war es zu spät.

Sieben lange endlose Monate der Gefangenschaft, immer wieder kam er um sie und ihre Gefühle zu verhöhnen bis sie fast den Kontakt zu sich selbst verlor.
Dich dann spürte sie das neue Leben in ihr, und sie wurde von einer seltsamen Kraft erfüllt. Sie begann ihr magisches Erbe zu entdecken und zu erforschen. Sie hatte es jede Sekunde ihres Lebens gespürt, hatte aber nie die unsichtbare Barriere überschritten es zu nutzen. Sie begann in seltsame Welten einzutauchen, ohne jegliche Geometrie, ohne Zeit und Raum. Sie lernte zu erahnen was ihr gegenüber dachte und fühlte. Und mit der unfreiwilligen Hilfe eines versklavten Elfen gelang ihr die Flucht.
Erst später fand sie ihren Gefährten, Kaine. Er hatte ihr geholfen das Kind zur Welt zu bringen und sich aufopfernd um sie gekümmert.
Anfangs war sie misstrauisch. Aber nun Wochen später vertraute sie ihm fast täglich ihr leben an. Wieder ein Knistern sie hielt den Atem an und lauschte auf die ruhigen gleichmäßigen Atemzüge ihres Kindes.
Kaine war ein Magier, sie hatte sich zwar einige Sprüche und Tricks gemerkt, aber nie erzählt das sie die Macht auch in sich spürte. Kaine war nicht so sehen irgendwie merkwürdig, so lange war er noch nie weggewesen. War ihm etwas zugestoßen? Oder ahnte er in welcher Gefahr er schwebte? Wie viel Macht ihre Tochter jetzt schon hatte? Ihr schauderte. Diese rohe pulsiernde Macht die sie bei ihm und jetzt auch bei dem Kind entdeckte. Ihr eigene Art war sanfter. Eher wie in plätschernder Bergfluss, der lustig sprang und sicher Wasser führte aber eigentlich ein nettes Bild war. Die Macht ihrer Tochter war wie ein breiter Strom mit Wasserfall. Die Macht war schon im Ruhezustand beeindruckend.
Sie hatte von Kaine erfahren das er sich bis vor kurzen in einem Kloster versteckt gehalten hatte. Das würde sie auch tun. Sie würde ihre Tochter sicher bald in ein Kloster geben. Wo niemand ihre Macht wahrnehmen konnte weil die Luft voller spiritueller Energie ist. Nur wenn keiner wusste das sie und das Kind Energie hatten waren sie sicher. Aber Kaine wusste es. Vielleicht war es Zeit eigene Wegen zu gehen. Je mehr sie darüber nachdachte desto sicherer war sie sich das richtige zu tun. Sie musste gehen.


2.Kapitel

Weiter auf der Flucht. Je länger sie weiterlief um so klarer wurde ihr, was nun passieren musste. Sie würde die einzige Sicherheit verlieren die sie hatten. Abgesehen von ihren eigenen eigenwilligen Mächten. Am Wegrand stand ein Hirsch, es war fast so als hätte er auf sie gewartet, oder als ob er sie etwas fragen würde. Sie schloß die Augen und wünschte sich sie könnte ihn verstehen, nichts, aber der Hirsch blieb stehen und sah sie mit ruhigen klaren Augen an. Sie sah ihm in die Augen, würde er sie tragen? Wollte er ihr helfen? War er es gewesen der sie an der Lichtung beobachtet hatte? Zögerlich trat sie ein Stück auf ihn zu. „Wir müssen schnell weit, weit weg..“ Der Hirsch senkte den Kopf. Sie trat neben den Hirsch, was hatte sie zu verlieren? Schlimmstenfalls würde er weglaufen.
Aber er lief nicht weg, er wartete bis sie sich auf seinem Rücken einigermaßen sortiert hatte, bis er lossprang. In wilden Sprüngen jagte der Hirsch durch das Unterholz, trotz den Kratzern die an ihrer Hand brannten fühlte sie sich erleichtert, schnell vorwärst zu kommen. Sie seufzte schwer, keiner durfte ihr folgen, auch nicht Kaine. Ihre Tränen brannten auf dem zerkratzten Gesicht. Zu Wissen das man das richtige tut, machte es wirklich nicht einfacher. Sie unterdrückte den Impuls abzuspringen, zurück zu Kaine, dem einzigen Menschen dem sie noch vertrauen konnte. Aber sie durfte ihn nicht weiter in Gefahr bringen, er hatte schon zu viel für sie getan.

Fünf Minuten später betrat Kaine die Lichtung, er war nicht alleine. Neben ihm stand ein hochgewachsener schlanker Mann, der einen schwarzen Reiseumhang trug. Kein Vögelchen sang mehr, ein eisiger Hauch durchzog die äste, Gefahr lag in der Luft. Sie sahen sich um. Niemand war zu sehen. Ohne Warnung streckte der Fremde seine Finger, und riss Kaine sein Herz aus der Brust, verwundert blickte dieser noch, auf sein pulsierendes Herz, als könne er das alles nicht verstehen. Bis er seufzend zusammenbrach. Das Herz schlug weiter, als der Mann ein Glas aus seiner Tasche zog, und es einsperrte. Das Herz glühte golden, als würde es sich versuchen zu wehren zu befreien, bis es schließlich schwarz und hart wurde. Der Mann zog eine Augenbraue höher, dann entnahm er der Leiche die Augen. Nur diese hatten seine Tochter gesehen, er würde sie nicht verschwenden. Nur diese Augen könnten sie wieder erkennen. Ein grausames Lächeln entstellte das feine Gesicht. Diese Frau, sie war entzückend stark. Das edelste Magierblut strömte in ihren nichtsahnenden Gliedern. Trotzdem hatte er nie die kleinste Magie an ihr wahrnehmen können. Sie hatte auch nicht den Geist Magie zu beherrschen. Aber etwas in ihr hatte sie entkommen lassen. Etwas wie ein Selbstschutz. Und die gleiche Kraft hatte sie nun ein zweites Mal gerettet. Das schein ja lustiger zu werden als er am Anfang angenommen hatte. Ungewöhnlich für einen normalen Menschen. Vielleicht ging diese Energie ja auch vom Kind aus, der alten Überlieferung nach musste es sehr stark sein. Alle Magierlinien vereint in einem Kind. Sein Meisterwerk.
Diese Frau konnte es eigentlich nicht sein. Sie hatte ihm vertraut und ihn geliebt. So naiv und rein war ihre Seele. Er seufzte und lehnte sich an die Weide, vielleicht lag auch darin ihre Macht. Keine Magie und so konnte er sie auch nicht spüren. Er ließ seine Gedanken streifen, nein, in der Nähe war sie auch nicht. Sie musste schon sehr weit weg sein. Er schickte seine Helfer aus. Seine Schlangen und Krähen. Sie waren wie die Bluthunde, er würde sie finden. Und seine Tochter erziehen. Große Macht musste in diesem Kind sein. Er würde diese zu nutzen Wissen. Er würde sie zu einer großen Herrscherin machen. Andauernd wie die Zeit, finsterer wie die Nacht und unberechenbar wie das Meer. Er brauchte nur das Amulett dieser verflixten Frau. Damit er das Kind lenken konnte, alleiniger Meister ihrer Macht. Ein viel edlerer Stil als Drachen zu unterwerfen, oder eine Bestie zu zähmen, viel eleganter. Er musste die beiden nur noch finden. „Du folgst mir“ befahl er dem Rest, der von Kaine übriggeblieben war. Nach einer lässigen Bewegung seiner Hand erschien eine Tür mitten auf der Lichtung, die geradewegs in ein dunkles Zimmer führte, in das er verschwand…
Zitternd hoben die Vögel ihre Köpfe, war es vorbei? Immer noch war es eiskalt. Sie kuschelten sich aneinander. Erst am nächsten morgen würden sie wieder singen.


3. Kapitel

Als der Hirsch ausgepowert war, kamen sie an einen breiten Strom. Es war tiefe, dunkle Nacht und der Frau taten alle Glieder weh. Sie stand am Steg und rief nach dem Fährmann. Keiner Antwortete. Sie klopfte an die Tür der Hütte. Es war niemand dort. Sie musste aber schnell weiter, kurzentschlossen band sie das Boot ab, und vertraute sich der Strömung an. Sie fütterte ihr Kind und schlief bei dem wohligen Schmatzen ein..

Als sie erwachte stillte sie ihr Kind ein und überlegte wie es weitergehen sollte. Sie band ihr Kind wie einen Rucksack auf ihren Rücken. Die Fahrt wurde immer unruhiger, da sah´ sie das der Fluss auf einmal aufhörte. „Das kann nicht sein, …“ doch hörte sie das typische Rauschen von Wassermassen die in die Tiefe stürzten. Sie ließ ihr Reisebündel liegen und nahm alle Kraft zusammen. Ihre Arme und Beine schmerzten vom bloßen stehen. Und trotzdem, ein Ausweg, sie musste einen finden. Direkt am Wasserfall standen einige Felsen, ihre einzige Chance, gespannt wie ein Flitzebogen stand sie da und konzentrierte sich. Das Boot wurde immer schneller und wurde wie eine Nussschale von der rasanten Strömung hin und her gerissen. Sie nahm nur noch den Stein wahr, und sprang in einem einzigen riesigen Satz. Eine Sekunde hatte sie das Gefühl zu fallen, schmiss sich aber nach vorne und stürzte auf Ellebogen und Knie. Da entdeckte sie in dem Felsen ein Loch und entdeckte einen Dachs. Sie hatte noch nie gehört das Dachse schwimmen können. Das musste heißen das dieser Tunnel Verbindung zum Wald hatte und trocken war. Sie band ihr Kind vom Rücken ab, die Kleine lächelte. Eine heftige Woge aus Glück und Liebe überrollte sie. Dann kam wieder die Kraft, sie würde es schaffen ihr Kind zu retten, dieser Spur zu folgen musste sehr schwer sein, und sie hatte ihn mal von Vögeln und Schlangen erzählen hören. Aber Dachse fraßen Schlangen. Dort unten würden sie sicher sein. Es ging gut 3 Meter hinab. Als erstes zog sie sich aus, knotete ihre Klamotten und ließ ihr Kind an diesem Kleiderstrick zu Boden. Dann stemmte sie Arme und Beine gegen die Felswände und kletterte langsam herunter.


4.Kapitel

Seit Tagen wanderte sie jetzt schon in absoluter Finsternis. Am ersten Tag hatte sie mit viel Mühe das Loch versteckt sich gefreut das der Tunnel so lang war das man kein bisschen Licht mehr sah. Sie hatte extra Geröll aufgetürmt so das man ihr von oben nicht ohne weiteres Folgen konnte. Aber nun…
Die Kleine hatte ja zu essen, aber wenn sie an ihren Magen dachte, kam er ihr vor wie eine zulange gebackene Dörrpflaume. Wasser gab es hier genug, es floss an den Felswänden herunter. Aber zu Essen hatte sie nur ein bisschen Moos gefunden. Und am zweiten Tag einen offensichtlich verhungerten Dachs. Der Gang war so klein das sie die meiste Zeit Krabbeln musste. Wie lange war sie schon hier? Fünf vielleicht Sechs Tage. Die Sicherheit war zwar beruhigend, aber sicher zu verhungern war auch keine schöne Aussicht. Sie seufzte. Wenn es nur um sie selbst gehen würde hätte sie schon lange aufgegeben. Einige Male war sie glimpflich mit der Nase gegen Felsen gestoßen, seitdem fühlte sie sich irgendwie schief an. Matt schlurfte sie mit dem Knie über den Boden. „Anheben!“ Zischte sie sich selber an. Ihre Knie brannten schon nicht mehr. Schon eine Weile ging es wieder aufwärts. Irgendwann musste sie ja herauskommen. Irgendwo in ihrem Hinterkopf erschien das Bild von dem toten Dachs. Der war sicherlich auch irgendwann reingekommen.
Sie krabbelte und kroch weiter…

Dann wie eine weiße Wand sah sie Licht am Ende des Tunnels. Aber bei jeden Schritt schien das Licht weiter zurück zu weichen. Außerdem ging es ziemlich bergauf. Sie verdrehte sich schmerzhaft das Handgelenk und rutschte drei Meter herunter. Dann beschloss sie eine Pause zu machen und schlief ein.
Als sie wieder ins Licht kam erblindete sie fast. Vorsichtig blieb sie einen Moment sitzen. Als ihre Augen sich an die ungewohnte Helligkeit gewöhnt hatten, war sie mehr als entsetzt. Sie saß in einem Vogelnest! Und nur tiefste Schluchten. Sie setzte sich hin und weinte… In der Dämmerung kam ein großer Adler angeflogen. Er war sehr zornig, aber irgendwie schien sich sein Zorn auf die Frau zu übertragen. Auge in Auge standen sie voreinander. Dann urplötzlich faltete er seine Flügel zusammen. Obwohl sie nicht wusste warum, und obwohl sie wusste das der Adler kein Wort verstand bat sie ihn inständig um Hilfe. Und wie beim Hirsch schien der Vogel sie nicht nur zu verstehen, er beugte sich nieder und es schien als wollte er das sie aufsaß. Und wieder konnte sie nichts verlieren. Trotzdem baute sie eine Art Fallschirm aus ihrem Kleid der im Notfall das Kind retten würde. Schwang sich auf den Adler und flog hinab ins Tal.
Im Fluss sah sie ihr Spiegelbild. Aber das war nicht mehr ihr Gesicht: Es war entstellt. Die Nase saß schräg in ihrem Gesicht, überall waren Narben, Schnittwunden und Flecken in allen Farben. Außerdem war ihr Mund auf der einen Seite weiter aufgerissen, und ihre Unterlippe gespalten. Sie sah entsetzlich aus. Aber dann, wie aus einer plötzlichen Fügung lachte sie, sie lachte und hielt sich den Bauch. Nicht mal ihre Mutter hätte sie so wiedererkannt. Also würde ihr Mann es auch nicht einfach haben. Selbst wenn er Plakate von ihr aufhängen würde, keiner würde sie erkennen. Und obwohl die Tarnung perfekt war, riss sie ihr Kleid in Streifen und band sich die Brüste runter. Ihre Kleider waren bis zur Unkenntlichkeit zerrissen. Keiner hätte erkennen können ob sie eine Frau oder ein Mann war. Und so würde sie ein Mann werden. In der Lichtung kam ein herrenloses Pferd angelaufen. Wundervoll. Sie würde ins nächste Dorf reiten, sich als Überfallopfer ausgeben und für neue Kleidung und Essen ihr Pferd verkaufen. Er suchte eine junge, hübsche Frau mit Kind, er wusste ja noch nicht mal ob Junge oder Mädchen! Und er suchte nicht nach einem Pferdehändler der seine Frau verloren hatte und nun ein kleines Kind hatte.
So verkleidete sie sich als Mann, und handelte mit den Tieren die ihr zuliefen. Sie hatte einen bunten Wagen der von einem prächtigen Rappen gezogen wurde und blieb nie lange an einem Ort.
Als das Kind ein Jahr alt war, hatte sie endlich ein geeignetes Kloster gefunden, wo die Oberin im geheimen noch an alte Geister glaubte. Und die spirituelle Kraft so groß war, das sie noch nicht einmal ihre eigene Kraft wahrnehmen konnte. Die Oberin verliebte sich sofort in das Kind. Als sie die tragische Geschichte erfuhr (das ihre Mutter bei einem Raubüberfall ums leben kam, und er nun vom Fürst ins Ausland geschickt worden sei, und es zu gefährlich für die Kleine war) nahm sie es und zog es wie ihre eigene Tochter auf.