Drachenzyklus - Kapitel 5 bis 8
von Xenia Holaya


5. Kapitel

Liebevoll blickte die Oberin auf dass ihr anvertraute Kind. Eine Schande für dieses Kind Geld zu bekommen. Kaja war geduldig, fleißig und immer freundlich. Sie konnte wundervoll sticken und half ihr jeden Abend beim Verzieren der Schmuckbuchstaben der Bibeln. Das war die beste Verdienstmöglichkeit für das Kloster. Sie hatte sogar schon eine komplett selber geschrieben. Manchmal war ihr unwohl, in dem Kind loderte etwas Anderes, eine uralte Macht, wie ein Schwelbrand, der immerzu qualmte. Trotzdem erfüllte sie jeder Gedanke an Kaja mit tiefer Zärtlichkeit.
Aber gerade deshalb hatte sie stets größte Strenge walten lassen.
Sie trauerte schon jetzt. Ihr Lächeln! Die gesamte Reinheit ihres Herzens strahlte heraus, gleich einem Engel. Mit ihren dunklen langen Haaren und ihren großen dunkelblauen Augen. Augen ohne Grund. In ihrer Kindheit hatte die Oberin von ihrer Großmutter Geschichten erzählt bekommen. Von Feen und Elfen, mit Augen in denen man den Lauf der Ewigkeit sehen kann. Auch wenn sie das allen verheimlichte und eigentlich ein Schandfleck in ihrem gottesfürchtigen, makellosen Leben war, dachte sie mit Zärtlichkeit an diese Geschichten. Mit ihrer Phantasie waren sie die Gefährten gewesen.
Daran musste sie bei Kajas Augen denken. Innerlich schalt sie sich. So unzüchtige Gedanken bei einer Oberin….
Eine Schönheit, ohne Probleme hätte sie Sie verheiraten können. Sie hatte sogar jetzt schon Angebote! Aber das würde wohl ihr Vater übernehmen. Sie lächelte, vielleicht war das Kind ja von geheimen Adel. Sie schüttelte den Kopf, nein, das konnte nicht sein. Ihr Vater ein Reisender mit entstelltem Gesicht. Und zerrissenen Händen. Der Tod seiner Frau musste sie ihn sehr mitgenommen haben. Verfilzter Haar. Nicht wie ein Adliger, er sah eher wie ein Strauchdieb aus. Aber um sein Kind hatte er sich gesorgt. Jedes Jahr wollte er einen Entwicklungsbericht. Mit denselben merkwürdigen Fragen:
Entwickelte Kaja sich normal? War sie irgendwie merkwürdig?
Zeigte sie Zustände von geistiger Umnachtung?
Oder Verbundenheit mit dem Mond?
Sprach sie mit Tieren? Oder hörte sie Stimmen? Oder mit sich selbst?
Sah sie Geister?
Sie schloss daraus das ihre Mutter schwer krank gewesen sein musste, und ihr Vater sich Sorgen machte. Deshalb hatte sie das Kind auch nie nach der Dämmerung rausgelassen, und sorgfältig darauf geachtet das kein Mondstrahl in ihr Zimmer schien.
Ihr Herz krampfte. Es würde ihr sehr, sehr schwer fallen sie gehen zu lassen. Schwerer als bei allen Kindern vor ihr. Ihr geliebtes Kind. Ihre einzige Tochter. Sogar den Namen hatte sie ausgewählt. Sie selbst konnte keine Kinder kriegen, und nun hatte sie doch 9 Jahre eine Tochter gehabt. Vielleicht war sie ja doch eine Fee. Die jetzt gehen würde…


6. Kapitel

Mit klopfenden Herzen stand Kaja am Tor. Heute würde sie abgeholt werden, von ihrer Mutter. Auch wenn die Oberin erzählte ihr Vater würde kommen, wusste sie dass sie nur eine Mutter hatte. Nachts träumte sie von einer langen und abenteuerlichen Reise. Von fremden Menschen und Ländern. Sie wusste nicht warum sie hier war. Doch sie erinnerte sich an Angst in ihren Blick. Und wie sie zum Abschied sie in den Arm genommen hatte und gesagt hatte „Ich liebe dich mehr als mein Leben“. Wie sie geweint hatte als sie zum Kloster gefahren sind. Ihre Mutter musste sehr verzweifelt gewesen sein.
Ihr Blick schweifte in die Ferne, flog mit dem Wind. Dann schlug sie züchtig die Augen nieder. Oberin Ruth mochte das nicht. Man musste seinen unruhigen Geist immer kontrollieren, sagte sie. Träumereien sind Untugendhaft. Eine junge Dame sollte sich anderen Dingen widmen. Sticken zum Beispiel. Lesen sollte man nicht so viel, denn Frauen sollten nicht so neugierig sein. Die falschen Bücher waren sogar unzüchtig und brachten einen auf dumme Gedanken. Und sie träumte sowieso immer das unmöglichste Zeug. Von Elfen und Drachen. Die Oberin hatte schnell aufgehört ihr die Legenden der alten Götter zu erzählen, oder Märchen. Sie hatte schlecht davon geträumt. Aber die Träume hörten nicht auf. Manchmal träumte sie sogar Dinge die noch gar nicht geschehen waren. Sie lächelte. Deshalb wusste sie dass ihre Mutter heute kommen würde. Manchmal wenn sie nicht aufpasste flog ihr Geist davon, ihn ferne Länder, manchmal hatte sie gesehen was ihre Mutter gerade machte. „Nein, heute kann ich bestimmt nicht sticken!“ Sie hatte in den vergangenen Wochen für die Oberin ein feinen, weichen Muff genäht, mit Fell gepolstert und liebevoll bestickt. Die Oberin war zwar streng, aber herzensgut. Sie hatte ihr beigebracht Geist, Körper und Seele zu vereinen, um zur ruhe zu kommen. Sie spürte die Sonne im Gesicht und lächelte, heute war ein guter Tag. Ihre Mutter kam, und sie spürte sie hatte es eilig. Kaja holte ihre Sachen.

„Ich danke Ihnen sehr für ihre Fürsorge, aber eine Verlobung kommt nicht in Frage“ „Kaja ist so wundervoll, es fällt mir schwer sie für immer gehen zu lassen…“
„Sie ist in Gefahr. Sie ist der letzte Sproß einer sehr alten und mächtigen Familie. Sie wird ein Jahr mit mir reisen und anschließend auf eine feine Eliteschule gehen. Sie haben sie viel gelehrt, vielen Dank“ „Sie wollen einfach gehen ohne zu Essen?“ Ihre Blicke kreuzten sich. Der Mann hatte die gleichen Augen wie Kaja. Blau und scheinbar grundlos blickten sie direkt in die Seele.
„Ich danke Ihnen für alles, sie haben Kaja mehr gegeben, als ich es jemals hätte tun können. Und mehr als ich erwarten konnte. Viel mehr. Ein Zuhause und eine Mutter.“ Die Oberin zerdrückte eine Träne. Der Mann fuhr fort. “Alle Anderen hier werden sich morgen nicht mehr an Kaja erinnern. Auch sie werden sich nur erinnern können, wenn sie die Füße im Muff haben. Als Schutz für alle Beteiligten. Die Oberin blickte erstaunt in diese ungewöhnlichen Augen. Sie wusste dass er die Wahrheit sprach. Und dass es ihm leid tat ihr das Kind nehmen zu müssen . Sie studierte den Fremden. Die Wunden waren vernarbt, dieser Mensch war absolut entstellt. Aber diese schlanken Hände, dieser geschmeidiger Körper. Er musste ein edler Mann gewesen sein.. Kein Arbeiter oder Kämpfer eher ein Gelehrter, oder – ihr stockte der Atem- eine Frau. Der Mann, nein, die Frau nickte. Was hatte diese Frau auf sich genommen! Sie hatte sich selber aufgegeben, ihre Gefühle mit Füßen getreten, damit ihr Kind eine friedliche Kindheit hatte. Sie lächelte und nickte, machte ein weitausholende Bewegung mit ihrer Hand nahm Kaja an der Hand und ging durch das Tor.


7. Kapitel

Kaja stöhnte. Die letzten Tage waren sehr hart gewesen. Ihr zarter Körper war geschunden, jede einfache Bewegung war die reinste Qual. Sie waren Tag und Nacht gereist. Auf Rehen, Pferden und Booten. Nun waren sie bei einem geschlossenen Planwagen angekommen. Ihre Mutter hatte ihr gesagt sie solle sich hinlegen. Aber der Wagen ruckelte.
Ihre Mutter kam rein, ihr Blick streifte sie zärtlich. Ihr war plötzlich so komisch. Als ob jemand einen Vorhang zuzog, sie schlief, nein, sie entschwebte an einen Ort wo es keine Schmerzen mehr gab.
Xenia, die Kriegerin, blickte sie an. Diese Schmerzen nahm sie gerne auf sich. Sie war hart geworden und an schlimmere Schmerzen gewohnt. Sie dachte über alles nach was sie mit dem Rat besprochen hatte.
Dieses zarte Mädchen war eine große Chance für die Welt. Vielleicht die Einzige die sie hatten. Und dieses eine Jahr war vermutlich die Einzige Zeit die sie jemals zusammen haben werden. Nur dieses eine um ihrer Tochter zu lehren was sie selber konnte, das Wenige was sie wusste. Sie schüttelte den Kopf , die hatte viel gelernt, über die fremden Welten. Und hatte eine Schule aufgetan. Verbündete gefunden. Und doch mussten sie ein Jahr reisen, immer ihre Spuren verwischen, ein Jahr auf der Flucht. Aber sie wollte das Jahr auch genießen. Und irgendwo würden Er und seine Kreaturen auf ihn warten. Irgendwo würde er sein und verhindern wollen das ihre gemeinsame Tochter in die sichere Schule kommen würde. Versuchen sie davon fernzuhalten. Ihre Tochter würde diese Schule erreichen, koste es was es wolle. Sie ballte ihre Faust. Schließlich hing die Zukunft davon ab, vieler Unschuldiger, eigentlich aller. Sie blickte ins wärmende Feuer.

Im Feuer erschien eine alte Gestalt. Xenia wisperte „Geist des Feuers, vereinige mich mit deinem Geist, leihe mir Dein mächtiges Buch der Weisheit. Ich möchte meiner Tochter als erstes deine Lehre weitergeben“ Stumm bewegten sich ihre Lippen `die Feinheiten der Urkontrolle, Kontrolle, dem Kontrollverlust`.
Das Wesen hatte keine klar definierte Gestalt, keine Kontur, vielleicht sogar keine Seele. Es bestand nur aus Kontrolllosigkeit. Die seit Jahrhunderten doch Kontrolle kannte. Sie stöhnte vor Schmerzen, die Prüfung, so grauenvoll wie das letzte Mal. Geister gaben ihre heiligen Gegenstände nur an starke Seelen heraus. Ihre Magie war wohl die Älteste. Aus einer anderen Zeit, vielleicht sogar aus einer anderen Dimension. Die normalen, weltlichen Belange interessierten diese Kräfte ebenso wenig wie die Strömung der Zeit. Ursprünglich und mächtig. Sie machten keinen Unterschied zwischen gut und böse. Sie kannten es nicht. So war es bedeutungslos….
An ihrer Macht konnte man zerbrechen. Aber sie nicht, nicht ihre Tochter. Diese hatte nur gute Erfahrungen gemacht. Ihre reine Seele hatte sie stets beschützt, so wie sein Ihrerzeit. Ihre Tochter war die personifizierte Reinheit. Sie blickte auf das Buch. Ihr Herz krampfte. Es tat ihr leid die gemeinsame Zeit so verbringen zu müssen. Mit Drill und Unterricht. Sie hätte die Zeit nur zu gerne in vollen Zügen genossen. Es gab soviel zu erzählen, sie kannten sich doch kaum. Und doch vertraute sie ihrem Kind.
Noch nicht einmal mit ihren Geist hatte sie ihr Kind begleiten können aus Angst entdeckt zu werden. Ihr Kind zu verraten. Alle Hoffnung zu zerstören. Auch jetzt hielt die Angst sie gefangen. Sie hielt ihre Emotionen flach. Heftig ausgelebte Emotionen konnten Emphaten über weite Strecken spüren. Und er beherrschte bestimmt Emphaten. Sie selber hatte diese Gabe. Ihr Kind begann sie zu entwickeln. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie baute einen Bannkreis auf, der sie vor allem verbarg und so beschützte. Zusätzlich schloss sie die Seele ihrer Tochter in ihre Eigene ein. Er konnte Kaja jetzt niemals mehr finden. Selbst wenn er über sie Stolpern würde. Zumindest bis sie selbst starb.


8. Kapitel

Sie streckte sich und schlug an Etwas hartes. Sie schlug die Augen auf. „Eine Kutsche? Wo bin ich“ verwirrt und verschlafen blickte ein zehnjähriges Mädchen um sich.

Vom Kutschdach erklang ein helles Lachen: “Kaja, komm nach vorne, frühstücken. In einer halben Stunde sind wir in einer Stadt. Wie fühlst du dich?“.

Erstaunt stellte Kaja fest, das es ihr gut ging. Sie fühlte sich locker und entspannt. Sie begann ihr Haar zu kämmen. 100mal, locker und entspannt. Schmerzlich vermisste sie einen Spiegel. Die letzten Tage erschienen ihr nur noch wie ein böser Traum, und eine Frau musste auf sich achten! Sie flocht sich zwei seitlich am Kopf anliegende Kränze. Erst dann kletterte sie nach vorne. Zwei prächtige Rappen zogen eine schöne, elegante Kutsche.

Ihre Mutter, weiterhin als Mann, war prächtig gekleidet. „Wir sind gleich da. Nenne mich Meister Ainex;“ sie lächelte „ein einfaches Anagramm meines Namens.“ Sie gab ihr ein altes, verwittertes Buch. Ohne sie anzuschauen sprach Xenia weiter: „Das ist das heilige Buch des Feuers. Mann darf die Worte nur leise lesen, nicht aussprechen oder gar aufschreiben. Lerne bis heute Abend die ersten 4 Seiten auswendig. Du bist etwas Besonderes, eine Magierin. Leider habe wir viele Feinde. Ich möchte nicht das es Dir wie mir ergeht, und Du Deine Macht erst zu nutzen lernst wenn es fast zu spät ist. Über Mittag werden wir in der Stadt sein. Dir taugliche Beinkleider nähen lassen. In der Abenddämmerung wirst Du Bogenschießen üben. Anschließend zeige ich Dir, wie Du Deinen Kopf freibekommst und Deine geistigen Spuren verwischst.“

Kaja sah` Xenia fragend an, aber Ihr wurde klar, das sie nicht weiterreden würde. Wenn man solange alleine gewesen war, verlernte man das Plauschen. Man sagte nur was wichtig ist. Oberin Ruth hatte einmal einen alten Mann gepflegt. Der hatte nur einzelne Worte wie „Ruhe“ „Hunger“ oder „Durst“ von sich gegeben. Aber gerne Erzählungen gelauscht. Als er anfing zu reden, war seine Zeit bald abgelaufen. Sie seufzte. Nun sollte sie so viel lernen.

Sie freute sich. Endlich durfte sie Ihrer Natur nachgeben. Ihr erschien es nicht ungewöhnlich, eher als hätte sie diese Neigungen immer unterdrücken müssen. Sie sammelte sich sorgfältig. Man sollte ja alles von ganzem Herzen tun. Sie lächelte. Sorgsam schlug sie das alte Buch auf, und strich vorsichtig über den Einband. Auswendig lernen, das war leicht. Es würde ihr schwer fallen, nach nur 4 Seiten aufzuhören. Sie lächelte in die aufgehende Sonne.