Drachenzyklus - Kapitel 9 bis 11
von Xenia Holaya


9. Kapitel

Sie steuerten auf das Dorf zu. Die Häuser standen dicht zusammengedrängt, als hätten sie Angst vor der weite der Welt und müssten sich gegenseitig Halt geben, sich nicht in ihr zu verlieren. Kaja lag hinten auf dem Gepäck und lernte. Ein gutes und tüchtiges Kind. Sie lächelte still. Viel reifer, als sie es mit zehn gewesen war. Plötzlich zog die Frau die Stirn kraus, sie durfte sich selbst nicht so gehen lassen, Gedanken hinterließen immer Spuren. Die letzten Jahre hatte sie nicht an Kaja denken dürfen. Das fast unmögliche gelang ihr, indem sie jeden Tag bis zum erschöpfen lernte und reiste. So war sie eine mächtige Magierin geworden. Aber dann hatte Kaja immer weitläufigere Spuren hinterlassen. Gedankenspuren. Deshalb nahm sie nun an der andauernden Reise teil. Sie musste lernen ihre Spuren zu verwischen, so dass nicht die geringste Spur von ihnen übrig bleibt. Jetzt wo sie Kaja bei sich hatte, konnte sie es erst mal übernehmen. Denn ihre Gedanken hatten zuviel Macht, hinterließen zu eindrucksvolle Spuren um das zu vernachlässigen. Die erste zeit hatten die Gebete der Oberin sie noch übertünchen können. Aber das Risiko war immer größer geworden, dass er die Spuren finden könnte. Auch er wusste das die Macht in der Pubertät am stärksten wuchs, am schlechtesten kontrollierbar war. Wegen der Gefühlausbrüche, nahezu greifbare Spuren hinterließ. Sie pfiff ein paar Pferde heran und sattelte sie. Dann wendete sie sich den Kutschpferden zu, und machte ihnen verständlich wo sie sich wiedertreffen würden.
„Komm Kaja, das letzte Stück reiten wir. Gib mir das Buch, es muss körperwarm gehalten werden.“ Sie musterte mit kritischen Blick ihre Tochter, Kaja sah leicht gerädert aus. Sie schien etwas über ihre Kraft gearbeitet zu haben. Sie griff an das Medaillon um ihren Hals und legte es ihrer Tochter um. Diese sah sie erstaunt an, Xenia lächelte. Sie hatte ihre Augen. Und ihren Mund, Die Nase war schlanker und das Haar einen Hauch dunkler. Sei würden sich sehr ähneln, wenn Xenias Gesicht nicht so verstümmelt gewesen wäre. Dieselben Ohren und Wangenknochen, aber vor allem dieselben Augen. Sie konnte sich gut als ihr Vater ausgeben. Sie setzte Kaja auf eines der Pferde. Und grinste verschmitzt. Anständig reiten musste sie auch noch lernen. Lachend gallopierte sie los und hörte hinter sich einen ängstlichen und erschrockenen Schrei. Im Augenwinkel sah sie Kaja die sich entsetzt an der Mähne festkrallte, bis sie sich an den sachte schaukelnden Rhythmus gewöhnt hatte.


10. Kapitel

„Du musst die Bogensehne weiter nach hinten ziehen.“ „Ich kann das aber nicht!“
Ein denkwürdiger Augenblick. Kaja war störrisch, leise lächelte Xenia in sich hinein, und Kaja kam erst richtig in Fahrt. „Eine Dame muss nicht kämpfen! Außerdem bin ich doch eine Magierin!“ Xenia legte den Kopf schief, sie selber fand diese Situation äußerst amüsant. „Eine Dame sollte auch nicht in magischen Büchern lesen, in einer Kutsche leben und in Hosen herumlaufen..“ Vor Wut bekam Kaja lauter kleine rote Punkte im Gesicht. Xenia wusste wie demütigend es für Kaja gewesen war, dass sie ausschließlich Hosen geschneidert bekommen hatte. Nie zuvor hatte sie Hosen getragen. Sie lief breitbeinig als wäre ihre Hose nass, weil sie der ungewohnten Reibung versuchte auszuweichen. Xenia konnte sich gut in ihre Tochter hineinversetzen, den gleichen Kampf hatte sie kurz nach ihrer Geburt gehabt, als sie anfing sich als Mann zu verkleiden. Über zwei Wochen war sie wund gewesen, mittlerweile schätzte sie den Komfort und die größere Bewegungsfreiheit die eine Hose nun mal bot. Sie lächelte und sah in das Gesicht ihrer Tochter, das ganz deutlich Ähnlichkeiten mit einem Maultier aufwies, und sie musste sich beherrschen nicht loszulachen.
„Bogenschießen fördert das Feingefühl, die Konzentration und die Kraft. Zunächst geht es darum sich selber oder etwas auf ein klares Ziel zu konzentrieren. Wie beim zaubern.“ Kaja sah sie zweifelnd an. Xenia nahm den Bogen, prüfte die Sehne, legte sorgfältig und ruhig einen Pfeil ein, und ließ ihn fliegen. Wie von Geisterhand flog er durch die Bäume scheinbar ohne Mühe. Kaja musterte ihre Mutter die sich scheinbar interessiert den Tanz des Pfeils anschaute. Und flog direkt auf ihre Mutter zu um kurz vor ihrer Brust mitten in der Luft anzuhalten. Am Schaft des Pfeils waren nun lauter Blätter zu sehen, aber keines war doppelt, und das kleinste war ein Lorbeerblatt! Kaja staunte, sah aber immer noch reichlich zerknickt aus. „Ende für heute, ich zeige dir jetzt noch, wie du deinen Kopf freimachst. Ich helfe dir auch dabei.“ Sie hatte Kaja überfordert, es war ja alles neu und fremd für sie. Eine trübe Wolke schien über Kajas Kopf zu schweben. Plötzlich sah Kaja erschrocken aus, Xenia lächelte liebevoll, sie erinnerte sich an die Kraft der Gedanken, und hatte heute gelernt das viele Magier sie deuten konnten. Tatsächlich waren Kajas Gedanken und Gefühle so heftig das sie wie eine große düstere Wolke um ihren Kopf wahrnehmbar waren. „Ich verzeihe dir alles, meine Kleine, auch deine bösen Gedanken. Jeder hat die in seinem Leben, sie gehören dazu, wie eine Münze auch nicht nur eine Seite hat. Dein Leben war nie sorgenfrei. Und es wird immer schwerer werden. Du wirst dich in den unmöglichsten Situationen zurechtfinden müssen. Harte Entscheidungen treffen, manchmal gegen deine Gefühle…“ Kaja sah zu ihrer Mutter auf, und ihr fiel auf, wie müde und verbraucht sie aussah. „ …Aber bekümmere nicht dein Herz, Düstere Gedanken schaffen düstere Taten und davon hat die Welt genug. Verzeih mir meine Härte.“
Sie sahen sich direkt in die Augen, und Kaja fing bitterlich an zu weinen. Xenia küsste sie auf die Stirn und nahm sie in den Arm, bis sie sich beruhigt hatte. Die gleichmäßigen Atemzüge verrieten das sie schon schlief.
Xenia lächelte und verwischte ihre Spuren.


11. Kapitel

Die Metallkugel schwebte über ihrer Handfläche. Kontrolle. ‚Diese Kugel ist leichter als Luft.’ Schnell, sie musste sich bewegen! Die Kugel fiel in ihre Hand. „So ein verdammter…“ Xenia runzelte die Stirn „man soll nicht fluchen. Sei bitte leiser ich muss mich konzentrieren.“ Kaja sah zerknirscht aus „Entschuldige. Aber ich war so nah dran!“ Xenia schloss ihre Augen, ihre Umrisse verschwammen, bis sie nicht mehr zu sehen war. Sie passte sich den Hintergrund perfekt an. Kaja seufzte teils vor Neid, teils vor Anstrengung. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn „Noch einmal. Los!“ Xenia grübelte. Diesen Ehrgeiz hatte sie nie besessen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Das war eine Eigenschaft die sie an Kajas Vater erinnerte, die sie stets an ihm bewundert hatte. Er hatte immer hart gearbeitet um seine Ziele zu erreichen. War nächtelang wach gewesen. Wie besessen von seinem Ehrgeiz. Klar und deutlich sichtbar saß Xenia am Waldboden. Die Metallkugel bewegte sich einige Zentimeter bevor sie wieder zu Boden fiel. „Xenia? Was ist denn?“ „Ich musste gerade an deinen Vater denken.“ Die Augen blitzten überrascht und freudig erregt. „Mein Vater? Lebt er denn noch? Er ist bestimmt tot. Ist er gestorben weil er uns beschützte? Wie war er denn?“ Xenias Blicke vertieften sich in den Himmel. Sollte sie ihrer eigenen Tochter diese Geschichte erzählen? Eine grausame Geschichte. Durfte sie diese Kaja einfach vorenthalten? Sie war so grausam, wie nur das Leben sein konnte. Aber Kaja hatte ein Recht auf die Wahrheit. „Es ist eine grausame und traurige Geschichte. Wenn du die hören willst bin ich bereit sie dir zu erzählen. Dein Vater spielt keine schöne Rolle. Auch wenn mein Herz davor graut, werde ich dich an meiner Erinnerung mit teilnehmen lassen. In meiner Erinnerung kann dir nichts passieren, und ich werde dich begleiten. Aber es wird hart sein und dir wehtun.“ Kajas Augen waren immer größer geworden. Sah´sie Zweifel darin? Kaja schien abzuwägen. ‚Was wäre, wenn ich es mir nicht anschauen würde? Meine Angst würde nur noch größer werden. So hat es keinen Sinn wegzulaufen, komme was da wolle’ sie nickte mehr für sich selber als für ihre Mutter. „Ich möchte alles erfahren“ Ihr Blick war fest, Xenia tat es leid, unendlich leid. So Traurig. Ihrer Tochter die Illusion vom netten Vater zu nehmen. Aber vielleicht war es ja besser so… sie seufzte sie hatte gehofft diesen Augenblick nie zu erleben. „Also setz dich und gib mir die Hand. – Und sag Bescheid wenn es dir zuviel wird. Du musst es nicht durchstehen.“ Kaja nickte, die Lippen fest aufeinander gepresst, mit roten Flecken auf der Wange.