Drachenfreundschaft
von Fleur aus Aslaug


Quietschend ging das hohe Gatter auf. Die etwas dickliche Lehrerin Frau Humblbee lächelte den ängstlichen Kindern aufmunternd zu und schob sie mit sanfter Gewalt in das Gehege. Es waren nicht viele Kinder, eine Grundschulklasse, um genau zu sein. Alle zanzig mit erschrockenen und erstaunten Gesichtern. Einige weinten sogar vor Angst.
Zu denen gehörte auch Paloma, ein kleines, molliges Mädchen in lockeren Jeans mit dunkelblonden, gelockten Haaren und einer großen Lücke in der oberen Zahnreihe. Man konnte ihr das Weinen nicht verübeln, denn schließlich gehörte sie mit ihren fünf Jahren zu den Jüngsten der Ersten Klasse. Um sie herum standen zwei weitere Mädchen, die Paloma beruhigende Worte zumurmelten, obwohl sie selbst vor Angst am liebsten geschrieen hätten. Die beiden Mädchen waren Fatima und Fiona, die neuen Freundinnen von Paloma. Fatima war ein robustes Mädchen mit einem runden Gesicht und mit zusammengesteckten, langen, schwarzen Rastazöpfchen. Da sie schon sechs Jahre alt war, überragte sie Paloma um ein paar Zentimeter und war gleichzeitig die Größte der Klasse. Sie trug ein hübsches rosa Kleid das einen schönen Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildete. Das andere Mädchen, Fiona, war etwas kleiner als Fatima, doch mit ihrem großen Selbstvertrauen wirkte sie um einiges größer und fröhlicher als der Rest der Klasse. Fiona, allseits beliebt, hatte ein schönes Gesicht mit gesunder Hautfarbe und roten Backen. Ihre fröhlichen Augen hatten etwas Magisches und ihre hüftlangen, silbernen Haare ließen sie gut zur Geltung bringen. Auch sie trug ihr bestes Kleid, wenn es auch nicht ganz so vornehm wie das von Fatima war. So standen die drei nun Frau Humblbee auf die riesige Wiese schubsen. Paloma konnte nicht sehen, was vorne geschah, aber aus den Gesichtern ihrer Mitschüler zu schließen schien dort vorne nichts Beruhigendes zu sein…
"Ruhe, bitte!", schrie Frau Humblbee sanft und doch streng über die Köpfe der Klasse hinweg. Die Schüler traten zur Seite und erstellten ihrer Lehrerin so einen Weg durch die Menge. Dadurch konnte Paloma einen kurzen Blick nach vorne werfen. Sie sah einen Wald. Riesengroß und bedrohlich ragte er über dem Gelände hoch, in das man von außen, als sechsjähriges Kind, noch keinen Blick werfen konnte. Über dem Wald lag ein seltsamer Duft aus Pfefferminz und Lavendel. Als die gutmütige Frau Humblbee endlich ihren Platz erreicht hatte, trat augenblicklich Stille ein, denn die Kinder wollten endlich wissen was sie hier verloren hatten. "Ruhe", rief die Lehrerin erneut über die Köpfe der Erstklässler hinweg, obwohl es gar nicht mehr nötig gewesen war. "Nun meine kleinen Lemties. Erst etwas Landeskunde!" Ein überraschtes Raunen ging durch die Reihe, als sie erfuhren, dass ihnen jetzt, in dieser bedrohlichen Lage einer von Frau Humblbees berühmten Vorträgen über die Insel Lum bevorstand. "So, wie ihr alle wisst, leben wir auf der versteckten Insel Lum, mitten im Atlantik, die von jedem Lemtie streng gegen die neugierigen Menschen verteidigt wird. Wir haben viele Tricks um Abenteurer und Gestrandete von unserem Land fern zu halten! Doch ein Lemtie erfährt diese Tricks erst bei seiner Einschulung, ihr also genau heute. Wie ihr ebenfalls alle wisst, seid ihr nach der chinesischen Astrologie im Jahre des Drachens geboren, und ein Zauber lässt uns diese Insel mit unseren Jahrestieren beschützen. Jeder Lemtie vermag nur sein Jahrestier zu gebrauchen, in eurem Fall ist es also das stärkste von allen, der Drache. So wie andere die Schlangen oder Affen als Jahrestieren mit diesen Tieren umgehen, so könnt nur ihr mit Drachen umgehen, und damit ihr das schon bald könnt, werde ich nun unsere jungen Drachen rufen. Sie werden sich ihren Reiter selbst aussuchen. Wenn ihr ihnen einen Namen gebt, schließt ihr automatisch einen Vertrag ab. Dieser Vertrag besagt, dass dieser Drache, dem ihr den Namen gegeben habt, euer Drache ist, auf dem nur ihr reiten und den nur ihr pflegen dürft. Des Weiteren besagt der Vertrag, und das ist bei weitem der wichtigste Punkt für euch und den Drachen, dass sie Seele und das Schicksal des Lemtie und des Tieres untrennbar miteinander verbunden sind, was zwar bedeutet, dass ihr erst sterbt wenn auch euer Drache dazu bereit ist, aber wenn euer Drache verletzt ist, seit ihr es automatisch auch! Genau wie euer Drache leiden muss, wenn ihr verletzt seit. Also pflegt eure Drachen und euch selbst gut! Ich werde die nächsten acht Jahre in der Reitkunst der Drachen und ihrer Pflege lehren. Dann wird ein großer Wettkampf stattfinden bei dem der Beste unter euch gewinnt. Erschreckt also nicht wenn die Drachen auf euch zukommen! Sie sind noch jung und können noch kein Feuer speien, da ihre Backenzähne gerade erst wachsen! So. Jetzt ist alles gesagt, was gesagt werden muss. Stellt euch nun hübsch in einer Reihe auf, na los! So ist es gut!" Und dann ließ Frau Humblbee einen schauerlichen Ruf, dem eines Tigers ähnlich, über das Gehege los. Sofort erzitterte die Erde unter einem gewaltigen Stampfen riesiger Füße. Fast augenblicklich traten beinahe zwei Meter große Ungeheuer aus dem Wald heraus. Die Schüler hielten den Atem an. Fiona zitterte. Paloma und Fatima hielten ihre Hände fest gedrückt…

Der Wind pfiff Fiona um die Ohren. Sie konnte unter sich den schwitzenden Leib ihres Drachen Silver spüren. Immer wieder drehte sie gefährliche Wendungen und stieß sich des Öfteren aus den höchsten Höhen in eine tief liegende Wolkendecke hinab. Schon seit acht Jahren drehte sie diesen Parcours, mit der Ausnahme, dass sie damals noch nicht damit rechnete, dass in zwei Wochen der Große Drachenwettkampf für ihren Jahrgang statt fand. Seitdem arbeitete sie noch härter mit ihrem Drachen. Silver war eine äußerst wendige Drachendame, hauptsächlich zur Schnelligkeit gebaut. Sie hatte einen Pferdekopf und einen kurzen Hals. Der Schuppenbesetzte Körper war dünn und lang und vom Kopf an zogen sich Zacken bis zur Schanzspitze. Die hübsche Silver war von Kopf bis Fuß silbrig schimmernd. Sie hatte sich Fiona ausgesucht, weil diese, genau wie sie, großes Selbstvertrauen besaß. Ebenso liebte Silver, genau wie Fiona, die Schnelligkeit und das Gefühl schwerelos in der Luft zu sein. Fliegen war die schönste Aufgabe für beide. Gerade wollte Fiona wieder nach oben steigen, als ein grüner Drache ihr zuvorkam und den Weg in den blauen Himmeln versperrte. Schnell zog Fiona am Hilfszügel und verspürte gleichzeitig einen stechenden Schmerz an ihrer eigenen Backe. "Fiona, du brauchst doch nicht so zu ziehen, das tut euch beiden nicht gut!", wurde sie von Frau Humblbee getadelt. Sie saß auf dem grünen Drachen, der aussah als wäre er gerade einem Märchenbuch entsprungen. "Was ist denn?", fragte Fiona gut gelaunt zurück. "Wenn ich sage, dass ich gerne Noten von dir über den bisher gelernten Stoff machen möchte, dann heißt das nicht das du mit deinem Drachen nur schrauben durch de Luft drehst! Mit ‚bisher gelernter Stoff' meine ich, dass du mir deine bisher gelernte Übungen zeigst und nicht nur das was dir gerade Spaß machst! Nimm dir ein Beispiel an deinen Freundinnen! Fatima hat die Aufnahmeprüfung für den Wettkampf bereits mit Bravour abgelegt, obwohl Donner kein leichter Drache ist, und selbst Paloma hat auf Beauty versucht was sie kann! Los, komm! Zeig mir was du drauf hast!" Aufmunternd dirigierte Frau. Humblbee Drache und Reiterin hinunter in das Drachengehege, wo der Rest der Klasse wartend auf ihren eigenen Drachen saß.

Paloma streichelte liebevoll das weiche Fell der pummeligen Beauty, die so gut nach Veilchen duftete. Vorsichtig legte sie den Federbesetzten Sattel auf den rubinroten Drachenkörper mit den überdimensionalen Schwanenflügeln. Sanft klopfte das Mädchen auf den langen Hals. Sie spürte die zärtliche Berührung auch an ihrem Hals und legte dann behutsam das Zaumzeug an. Paloma machte das alles mit höchster Vorsicht. Sie pflegte die Freundschaft zu ihrem Drachen sehr, ihr as es wichtig das er zu nichts gezwungen werden musste. Paloma hatte den kleinen Drachen sofort gemocht, da er wie sie klein und mollig war und die Sicherheit und die Entscheidung des Herzens mehr schätzte als unüberlegte Handlungen. Deshalb konnte sie "Satteln und Pflegen" am besten, dabei konnte nichts Gefährliches passieren. Gleich war Beauty fertig. Paloma zog noch schnell den Sattelgurt fester und flüsterte Beauty sanft ins Ohr. Sie spürte wie es in ihrem eigenen Ohr lustig kribbelte und trat dann einen Schritt zurück. Wahrlich, eine Schönheit war ihr Drache nicht, aber er war innerlich schön und das reichte Paloma. Schon oft hatte sie sich gefragt ob sie Beauty überhaupt als Drache erkannt hätte wenn Frau Humblbee es nicht gesagt hätte. Ein Drache mit Fell, einem Schwanenhals und Federflügeln war höchst ungewöhnlich. "Noch ungewöhnlicher als Monas Drache.", dachte Paloma. Mona, eine Klassenkammeradin, hatte einen Drachen mit fünf Augen! Zufrieden mit ihrer Arbeit drehte sie sich nun zu Frau Humblbee um und sagte: "So, wir sind fertig!" Und Frau Humblbee trug auf ihrem Notizblatt unter der ersten Aufgabe: Pflegen und Satteln, eine große geschwungene "Eins" ein.

Fatima lacht. "Was für eine dumme Aufgabe!", flüsterte sie belustigt. Sie saß auf ihrem großen Drachen Donner, um den sie schon so viele beneidet hatten. Er war doppelt so groß wie alle anderen und kohlrabenschwarz. Er sah wie eine riesige Echse aus, stark, kräftig gebaut mit großflächigen Schuppen und riesigen Flügeln, die momentan aber in zugeschnürten Taschen steckten, denn während der Bodenaufgaben durften die Drachen ihre Flügeln nicht benutzen. Frau Humblbee pflegte immer zu sagen: "Was ist, wenn sich einer von euch oder die Drachen verletzen und sie nicht mehr fliegen können?" Doch das widersprach einer anderen Rede der guten Lehrerin, in der es hieß, dass man alle Wunden mit Drachenblut heilen könne. "Aua!", schrie Fatima plötzlich. Donner hatte einen seiner berühmten, riesigen, fast kilometerlangen Feuerstöße gen Himmel gestoßen und sich dabei die Nüstern verbrannt, jetzt brannte Fatimas Nase ebenfalls. Das Mädchen hatte sich bereits daran gewöhnt stets mit ihrem Drachen verbunden zu sein. Alle wichtigen Berührungen bekam sie mit, so merkte sie genau wie ihr Gewicht auf dem Rücken des Drachens drückte. Donner war extrem ungeduldig. Er wollte mit den Aufgaben unbedingt fertig werden, dabei war dies erst die zweite Aufgabe, er musste ja auch noch fliegen! Bei Donners Ungeschicktheit und Schwere in der Luft! Das war eine schwerere Aufgabe als die, vor der sie gerade standen. Ein riesiger See erstreckte sich vor Fatima. Die Aufgabe bestand darin den See ohne zu Fliegen, zu überqueren. Donner war mutig aber auch ungeduldig. Ja, Ungeduld, das war seine größte Schwäche. Schon wieder stieß Donner einen gewaltigen Feuerstrahl aus, doch jetzt reagierte Fatima. Sie würde nicht schwimmen, das hatten die anderen sicherlich schon gemacht. Sie hatte eine bessere Idee, sie musste nur schnell sein! "Spei!", brüllte Fatima Donner ins Ohr und dieser ließ eine gleißende, heiße Wand aus Flammen auf den See nieder. Sofort verdunstete das Wasser und bildete einen dichten Nebel über der Wasseroberfläche. Behände rutschte Donner den Hang hinunter an dem eben noch das Wasser geplatscht war. Unten angekommen, stand Donner gerade mal noch bis zu den Knöcheln im Wasser und watete so schnell er konnte. Stetig stieg das Wasser wieder an und der Nebel löste sich langsam. Doch Donner schaffte es an das andere Ufer, ohne nur einmal einen Schwimmzug zu tun. Stolz und nass schritt Donner den hang wieder hinauf und Fatima grinste, als sie Frau Humblbee sah, die staunend zu ihren Stichpunkten Noten gab und den Durchschnitt ausrechnete. Fatima hörte sie flüstern: "Eins Komma Null, wo gibt's denn so was!?"

Spannung erfüllte die Luft. Gerade eben hatte der letzte Schüler die Aufnahmeprüfung beendet und gleich würde Frau Humblbee verkünden, welche zehn unter ihnen am Wettbewerb teilnehmen dürften. Keiner der zwanzig Schüler auf dem Feld hatte den Rat der Lehrerin befolgt, ihre Drachen abzusatteln, sie alle wollten keinen Moment verpassen! Deshalb saßen sie alle noch auf ihren Tieren. Die kleinsten von ihren flogen damit sie auch ja nichts verpassten. Donner jedoch stand majestätisch auf der Erde und überragte selbst die Flieger. Neben Donner saß Fiona auf ihrem Drachen, Silver stand, anders die Paloma auf Beauty, die zwar nicht flog, aber einen anderen Trick angewendet hatte um etwas sehen zu können: Sie hatte sich auf den langen hals Beautys rutschen lassen und war dann auf den Kopf geklettert, so drückte es zwar auf ihrem eigenen kopf, aber sie konnte das Geschehen wenigstens verfolgen. Jetzt betrat Frau Humblbee die Wiese. Sofort war es mucksmäuschenstill. Fiona, Paloma und Fatima warfen sich viel sagende Blicke zu. Obwohl Frau Humblbee sich in all den Jahren wie eine Mutter um ihre Schüler gekümmert hatte, mussten die meisten bei ihrem Anblick doch noch kichern. Frau Humblbee machte ihrem Namen alle Ehre. Sie war groß und rund und auf ihrer Hakennase saß eine eckige Brille, dazu trug sie stets das gleiche T-Shirt: gelbe Querstreifen auf schwarzen Hintergrund. Von den meisten wurde sie nur "Hummelchen" genannt. Hummelchen holte tief Luft: "Meine Lieben! Ihr habt alle die drei Prüfungsaufgaben heil überstanden, doch trotzdem können nur zehn von euch bei dem Wettbewerb mitmachen. Dafür ist der Preis sehr hoch: Dem Gewinner wird die Gabe verlieren, mit seinem Drachen sprechen zu können!" Ein Raunen durchfuhr die Schülermenge. "Ich habe euren Notendurchschnitt ausgerechnet. Die besten kommen bitte nach vorn und holen sich ihre Teilnahmebestätigung ab! Ihr bekommt einen Trainer, immer fünf zusammen, der euch noch einmal extra auf den Wettkampf vorbereitet. So, ich fange mit den besten Leistungen an! Fatima mit einem Schnitt von 1,0 hat auf Donner eine wahre Glanzleistung dargelegt!". Überglücklich ließ Fatima Donner emporsteigen. Der spürte ihre Aufregung und stieß fröhlich einen Feuerstrahl in die Luft. Als Fatima ihre Bestätigung hatte, fuhr Frau Humblbee fort. Nachdem auch Mona, Lisa, Felix und Luc und schließlich auch Fiona erfuhren das sie unter den zehn besten seien, gab Paloma insgeheim schon die Hoffnung auf und als das Zwillingspaar Natha und Lie sich die Teilnahmebestätigung abholten, kämpfte Paloma bereits mit den Tränen. Es wäre ein Wunder wenn sie jetzt, nachdem Kathleen ihre Bestätigung hatte, noch genommen würde. Zum Glück standen Fiona und Fatima nicht in ihrer Nähe, sie ließen sich feiern. Paloma wollte nicht, dass man ihre tränen sah, doch plötzlich stieß ihr ein Junge in die Rippen und sagte: "Hei Paloma, nun geh schon nach vorn, die warten schon alle!". Zuerst konnte Paloma es gar nicht wahr haben, doch sie glaubte es sofort, als sie ihren Namen auf der Teilnahmebestätigung geschrieben sah. Paloma drückte Fatima und Fiona so fest sie konnte. Überglücklich saßen die drei Freunde, die mit Natha und Lie in eine Gruppe gekommen waren, nun beisammen und überlegten, wie sie am besten durch den Wettkampf kommen würden. Fatima war fest entschlossen nicht zu fliegen und einfach alle Hindernisse zu verbrennen oder niederzutrampeln, zwinkerte aber verstohlen zu Fiona herüber, während Paloma angestrengt versuchte ihr zu erklären, dass das nicht die feine Art wäre.

"Habt ihr eine Idee was dran kommt?", fragt Fiona in die gut gelaunte Runde hinein. "Das ist doch so klar wie Kloßbrühe! Aufgaben natürlich!", feixte Fatima und zahlte für diesen Spruch einen Kissenschlag mitten ins Gesicht. Lachend und strampelnd befreite sie sich aus der weichen Wand und nahm nun ihrerseits ein Kissen, das viel größer und dicker als das von Fiona war. Schon setzte sie zum Angriff an, aber Fiona hielt ein Kissen vor ihr Gesicht und währte den Schlag ab. Gerade wollte Fatima werfen, als sie abermals von einem Kissen getroffen wurde. Sie drehte sich ruckartig um und sah Paloma die unschuldig lächelte und die Zipfel ihres Kissens in den Händen hielt. Fatima duckte sich schnell und geschickt unter Fionas Kissen hinweg, das von hinten geflogen kam und warf sich dann behände auf Paloma der sie lachend das eigene Kissen ins Gesicht drückte, so dass die Federn flogen. Prustend zog sich Fiona unter ihren Kissen hervor und schon fünf Minuten später war das Zimmer ein Schlachtfeld voll mit Federn und Stofffetzen.

"Nun alle mal hoch und dann eine Wendung nach links!", brüllte Herr Kaimayr, ein unangenehmer Lehrer, der schon bald seine Lieblingsschüler hatte. In diesem Fall Fiona die mit Silver viel besser in der Luft zurecht kam als die anderen, die allesamt zu schwere Drachen hatten um eine ordentliche Neunzig-Grad-Wendung hin zu kriegen. So hatte Fiona einen großen Vorteil, aber die arme Paloma hatte es sehr schwer bei diesem Trainer. Denn Herr Kaymaier, umgetauft in "Der Schrecken", nahm das, was sie am besten konnte, überhaupt nicht in den Unterricht auf! Satteln und Pflegen stellte er als Vorraussetzung für das Training und kümmerte sich nicht darum, ob man es nun konnte oder nicht. Doch Paloma hatte Glück, zwei wunderbare Freundinnen zu haben, die mit ihr den Plan ausheckten, den unterricht nach dem Training selbst fortzuführen. Jeder übte alle Aufgaben noch einmal, die sie früher bei Hummelchen besprochen hatten, und die anderen benoteten. Fatima stellte bald fest, dass man ihr nicht mehr viel beibringen konnte, denn obwohl "Der Schrecken", dieser junge, dynamische, aber hässliche Kerl seine Lieblingsschüler hatte, hielt er große Hochachtung vor Donner. Er hatte einmal gesehen, wie er Feuer spie und seit er bemerkt hatte, dass Donner ihn nicht sonderlich leiden konnte, achtete er besonders darauf dem Drachen wohl gesinnt zu sein und versuchte möglichst viele Bodenaufgaben in das Training einzubauen, denn die waren Donners Spezialität. Doch Fatima wäre keine Freundin, wenn sie nicht dennoch immer beim Freundinnentraining dabei gewesen wäre und Tipps gegeben hätte. Fatima hatte vor das Turnier nicht zu gewinnen. Sie wollte nur beweisen, was sie konnte, und würde kurz vor dem Ziel anhalten und den Schüler hinter ihr durch die Ziellinie lassen. Dadurch, dass sie als erste ankommen würde, sähen all, dass sie eigentlich Sieger war. Dieser Plan reifte jetzt schon seit Jahren in ihr. Jetzt, in drei Tagen, konnte sie zeigen, dass sie es ernst meinte.
Paloma war glücklich. Ire Freunde hatten ihr in dieser Woche mehr beigebracht als "Der Schrecken" in einem Jahr geschafft hätte. "Morgen, ja morgen, da zeigt sich dann wie gut ich geübt habe!", dachte Paloma so nebenbei und drehte eine enge Wendung über den Wolken, als Silver ihr entgegen flog. Unerschrocken (Das hatte sie lange üben müssen), stellte sich Paloma dem wendigen Tier und Beautys Hals reckte sich nach vorn. Sie verkohlte vorsichtig Silvers Nüstern. "Aua!", lachte Fiona und fasste sich an die Nase. Als sie merkte, dass Silver endlich gelernt hatte, Feuer zu speien ohne sich zu verletzen, lobte ihn und sagte vergnügt: "Komm runter, Schluss für heute, morgen wird schon alles glatt laufen!" Mit einem guten Gefühl im Magen landete Paloma auf der großen Wiese. Sie konnte nur ahnen, dass Fiona genauso erpicht darauf war mit, mit Drachen zu sprechen, wie sie.

Die Wolkendecke brach auf, das Sonnenlicht flutete wie ein goldener Regen über den Turnierplatz und die Zuschauer auf den Tribünen kamen aus den vielen "Oooohs" und "Aaaahs" nicht mehr heraus. Das Turnier war nun in seiner schönsten Phase, denn die Drachen kamen jetzt in den Zuschauerbereich. Sofort war es Still, als der erste Drache auch schon aus dem Wald trat. Donner, in Topform, grüßte die Leute mit einem riesigen Feuerstoß und katapultierte den nächst besten Baum, wie einen Blumenstrauß, als nette Geste nach hinten. Stolz thronte Fatima auf ihrem Drachen. Bis jetzt waren die Prüfungen noch leicht gewesen. Es war wieder ein See gewesen, eine Feuerwand und ein riesiges, ausgegrabenes Loch. Alle drei Aufgaben in einer Halle, so dass man nicht darüber hinweg fliegen konnte. Doch wenn jetzt das kam, was Fatima glaubte, käme nun das vierte Element: Luft. Und das große Wettrennen würde sich bei dieser Aufgabe entscheiden, denn Mona war knapp hinter ihr. Erfreulicherweise kamen dann Paloma und Fiona. Fatima hoffte stark, ihre Freunde vor dem Ziel ab sich vorbeilassen zu können. Doch jetzt lag es an ihr, überhaupt als erste an die Ziellinie zu gelangen! Und so stieß Donner sich vom Boden ab und flog dem Labyrinth, das sie durchqueren mussten, entgegen.
Paloma freute sich wie ein Honigkuchenpferd, als sie über die Feuerwand gesprungen war ohne sich zu verletzen. Sie hatte es nur Fiona nachgemacht, die mit einem zierlichen Hops darüber hinweg gekommen war. Donner hatte bei seiner Größe wahrscheinlich nur seinen Fuß heben müssen. Beauty machte ihrem Namen nun alle Ehre und ließ sich geschmeidig in die Erdgrube sinken. Leider war die Grube zu eng um die Flügel ausbreiten zu können und so musste man laufen. Ein paar Schritte vor ihr hüpfte Fionas Drache auf einem Bein durch die Grube. "Angeben kann ich auch!", dachte Paloma und hüpfte nun ebenfalls auf einem Bein durch den Graben.
"Ja, endlich! Ich habe das Labyrinth gefunden!", lachte Fiona triumphierend. Sie war zu schnell gewesen, als dass Paloma ihr hätte folgen können. Jetzt musste sie nur noch den letzten Kilometer fliegen bis zur Linie. Sie sah Donner, doch Monas Drachen konnte sie nicht entdecken. Dafür einen anderen Drachen… "Das ist ja Paloma!", durchfuhr es sie wie ein Blitzschlag. "Sie muss im Labyrinth einen besseren Weg gefunden haben!" Und schon setzte sie zur Verfolgung an. Sie würde sich diesen tollen Preis nicht durch die Lappen gehen lassen! Paloma war verdutzt. Vor ihr, ein paar hundert Meter entfernt, flog seelenruhig Fatima im Stehflug und gab ihr den Weg zur Ziellinie frei! Unter ihr standen viele Leute, die sie dazu bewegen wollten, durch die Linie zu fliegen. Lächelnd wollte sie wieder anfliegen, als sie plötzlich zusammenzuckte. Aus dem Hinterhalt war Fiona gesprungen und hatte Beautys Schanz gepackt! Erschrocken taumelte diese nach hinten und als sie keinen Boden unter ihren Füßen spürte, fiel sie in die Tiefe. Dann wurde alles schwarz.
Erschrocken über das, was Fiona da getan hatte, war Fatima erst einmal erstarrt, dann flog sie schnurstracks auf die am Boden liegende Paloma zu und während sie ihre Freundin unter dem ebenfalls bewusstlosen Drachenkörper hervorholte, wurde ihr plötzlich klar, dass man doch nicht alle Wunden mit Drachenblut heilen konnte. Diese Wunde, die Fiona in ihre Freundschaft gerissen hatte, würde so schnell nicht wieder verheilen.
Fiona setzte zum Endspurt an, Sie wollte unbedingt Erste sein! Und jetzt stand ihr der weg frei! Wenn sie erst mit ihrem Drachen sprechen konnte, war ihre Freundschaft mit ihm unzertrennlich! "Aber…" Plötzlich kamen ihr Gewissensbisse. Sie hatte doch schon zwei unglaubliche Freundinnen und ihr Drache war doch eh schon mit ihr engst befreundet, as brachte es ihr dann einen guten Freund zu haben, dafür aber zwei ebenso gute zu verlieren? Und so drehte Fiona um, die nun endlich verstanden hatte, was Freundschaft heißt.

Paloma ging es gut. Fiona pflegte sie eigenhändig und bat weinend um Verzeihung. Paloma verzieh ihr schnell und war schon am nächsten Tag wieder schulfähig. Sie sagte, dass sie sich schon auf das nächste Jahr freue, wenn die Schafskinder dran kämen, das Turnier zu meistern. Doch insgeheim war sie auch traurig, dass keiner von ihnen dreien den Preis gewonnen hatte. Nein, Mona siegte. Sie redete jetzt immer und überall mit ihrem fünfäugigen Drachen und bemerkte gar nicht, dass sie eigentlich nur die vierte Siegerin war. Aber doch, jemand hatte es bemerk…
"Ich bitte Fiona, Fatima und Paloma nach vorne!", schrie Hummelchen über die brabbelnd Schülermenge hinweg. Als es endlich still war fuhr sie fort: "An diesen Dreien solltet ihr euch eine Scheibchen abschneiden, wirklich! Denn diese drei haben auf ihren Preis verzichtet, damit sie sich gegenseitig helfen konnten!" Das stimmte zwar nicht ganz, denn immerhin war Paloma bewusstlos und Fiona es schuld gewesen, aber Fiona, Paloma und Fatima schwiegen. "Ich glaube, es ist nur Gerecht wenn diese drei, die die eigentlichen Sieger sind, ihren Preis bekommen!" Und in dem Moment, in dem die drei Freundinnen ihr Hände drückten, konnten sie die Drachen unter sich sprechen hören.




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