Des einen Freud, des andren Leid
von TheCat aus Aslaug


Mit einem tiefen Seufzer streckte Mrs. Robertson verschlafen ihre Glieder. Sie war, mal wieder, über einem Buch eingeschlafen und in ihrem Lesesessel verspannt aufgewacht. Rasch schaute sie auf die Uhr, die mal wieder die Mittagszeit ankündigte, stand auf, strich sich ihren Tweedrock zurecht und ging in ihre Küche, welche, passend für eine Liebhaberin von älteren Büchern, ganz im Landhausstil gebaut war. Das Buch von gestern Nacht hatte sie mitgenommen, und es lag verlockend auf dem Küchentisch. Doch nein, zuerst sollte sie nach der Post schauen. Langsam trottete sie zu ihrem Briefkasten, um sich, wie jeden morgen, erst einmal der Werbung zu entledigen und sich danach in aller Seelenruhe den Briefen und den Zeitungen zu zuwenden.
Knisternd breitete sie die Zeitung vor sich aus und trank genüsslich ihren Tee: Ein Fall war gelöst, mehrere Haustiere waren verschwunden, doch etwas wirklich Interessantes fand sie nicht. Doch unter den Briefen war einer, der Abwechslung versprach:

"Liebe ehemalige Klassenkameraden,
wir sind zwar nicht mehr die Jüngsten, doch ich denke bzw. hoffe, ihr werdet es schaffen mich nächstes Wochenende in meinem Haus in Schottland zu besuchen. Die Zugkarten habe ich schon beigelegt, ihr müsst sie bloß benutzten. Ich freue mich auf unser 60jähriges Klassentreffen,
Euer John MacLean"

John, der gute alte John. Vor ca. 40 Jahren hatte er sein "Haus" von seinem Onkel vererbt bekommen. Man sollte aber dabei erwähnen, dass sein Onkel ein Lord war. Ein reicher Lord. Geerbt hatte er auch den Lord-Titel seines Onkels. Man konnte sich gut vorstellen, was für ein "Haus", sein Haus war.
"Da werde ich ja wohl meine Sachen packen müssen", dachte Mrs. Robertson nicht wirklich betrübt. In Schottland war sie lange nicht mehr gewesen und vielleicht würde sie dort auch mal richtig ausschlafen und nicht über Fällen brüten.
Nach einigen Stunden Zugfahrt, die sie die meiste Zeit zum Lösen von fiktiven Fällen benutzt hatte, kam sie endlich in Schottland an. Sie wurde am Bahnhof von Johns Chauffeur und gleichzeitig Butler in Empfang genommen. "Der gnäd'ge Herr lässt sich entschuldigen, er empfängt sie bei sich." Wenn sie über Johns Leben nachdachte, musste sie zugeben, dass der Tod auch für manch einen auch angenehm sein konnte.
Das Haus ließ sich nicht blicken, selbst nach 3 Stunden Fahrt und dem Eintritt in das Landgut MacLeans, aber als es dann in Sicht kam, hatte sich das Warten wirklich gelohnt!
Genauso auch der Blick ins Wohnzimmer: John, leblos auf seinem Lieblingssessel, erstochen, neben ihm seine Pfeife, die er schon seit seinem 20 Lebensjahr besitzt, und auf dem Tisch zwei Tassen. "Ich ziehe Mordfälle wirklich magisch an.", dachte sie nachdenklich, nur um gleich danach wieder ganz die Alte zu sein. Sie wies den Butler gleich an, die Polizei zu verständigen.
Als sie endlich allein im Zimmer stand, schaute sie sich um. Sie wusste, sie war die erste vom Klassentreffen, die anderen hatten spätere Züge genommen, also musste er vorher Besuch gehabt haben. Als sie sich rasch alles genau anschaute, bemerkte sie, dass die Mordwaffe fehlte und sie entdeckte auf einer der Tassen hastig abgewischte Lippenstiftreste. Der Besuch war weiblich gewesen. Doch noch seltsamer war, dass man im Zimmer keinen Pfeifenrauch roch, und John war bekennender Pfeifenraucher, und in der Pfeife war kein Tabak, in Johns Tabakdose befand sich statt des zu erwartenden Tabaks ein Zettel mit vier Zahlen: 3799. Aber sie waren nicht von MacLeans Hand geschrieben worden, da war sie sich sicher! Der Code von seinem Tresor konnte es nicht sein, den würde er nicht so offensichtlich bei sich tragen, und wenn doch, so hätte er den selbst Zettel geschrieben. Sie musste herausfinden, wer die Besucherin gewesen war.
Als die Polizei ankam, war alles genauso wie vorher, nur der Zettel fehlte. Der war in Mrs. Robertsons Brieftasche sicherer aufgehoben. "Und sie sind erst nach dem Tod hier eingetroffen, zusammen mit dem Butler. Verstehe ich das richtig." "Ja, wie oft noch, ich kam mit dem Zug aus London, wurde vom Butler abgeholt, kam hier an und fand die Leiche von John MacLean." "Sie kennen Lord MacLean gut?" "Kannte. Ja, er wollte dieses Wochenende ein Klassentreffen geben, die anderen aus unserer alten Klasse müssten auch bald kommen." Mal wieder stellte die Polizei die falschen Fragen, an die falschen Leute. Wann würde die Polizei einen Fall ohne Hilfe lösen? Einige Zeit später kamen die Anderen aus der Klasse und waren ebenfalls geschockt, doch die Zugtickets für die Rückfahrt galten erst in drei Tagen. Und so blieben alle, wohl oder übel.
Die Stimmung war um einiges gespannter, als beim letzten Klassentreffen, welches 5 Jahre zurücklag. Leicht melancholisch dachte Mrs. Robertson an ihr Treffen 2000. Judy Coppard hatte es gegeben, und es waren auch die Kinder eingeladen. Oder sollte man besser sagen, die Erwachsenenkinder, die waren ja immerhin auch schon etwas älter. Das Treffen war sehr ruhig verlaufen, wenn man mal von kleineren Streitigkeiten absah. Das war es. Sie hatte sich schon gewundert, irgendjemand schien zu fehlen. Judy. Judy Coppard. Und sie hatte damals einen sehr heftigen Streit mit MacLean gehabt. Ob er sie überhaupt eingeladen hatte? Das war aber eigentlich egal. Wegen Streitigkeiten, die Jahre zurückliegen, sollte man sich nicht den Kopfzerbrechen. Trotzdem hatte Mrs. Robertson ein flaues Gefühl im Magen. Irgendeine Erinnerung fehlte…
"Was machen wir jetzt? Wir können nicht drei Tage hier herumsitzen und uns fragen, wer John umgebracht hat!", Judy war doch eingeladen, hatte aber den Zug verpasst gehabt und kam erst am späten Abend an. Sie war sehr ergriffen von Johns Tod. Die beiden hatten schon immer ein seltsames Verhältnis, mal Blutsfeind, dann Blutsbruder. Ein neutrales Verhältnis hatten sie nie gehabt. "Mein Vorschlag wäre, wir versuchen herauszufinden, wer ihn vorher besucht hatte und was in der letzten Zeit bei ihm passiert ist. Wer hatte denn alles regelmäßigen Kontakt mit ihm?" Judy war die einzige, die wirklich regelmäßig in Kontakt mit ihm stand. "Tja, ich möchte mich ja nicht einmischen, aber hattet ihr euch nicht beim letzten Treffen gestritten? Also, ich weiß ja nicht…" "Lucy, dein Kommentar wollte keiner hören. Hör auf Zwietracht zusähen!" Doch es war zu spät. Alle konnten sich an Judys Worte erinnern: "Du wirst dafür büßen, das schwör' ich dir!" Wofür wusste keiner, dass war eine Sache zwischen den beiden gewesen. Aber Judy könnte so etwas nicht tun. Sie war nicht mehr die Stärkste, selbst für ihr Alter war sie schwach und ruhig. Noch ehe jemand etwas unternehmen konnte, war Judy aus der Lounge in ihr Gästezimmer gerannt, so schnell das halt mit 75 Jahren ging.
Die Unterhaltung war schnell verebbt und die restlichen 10 Gäste gingen auf ihr Zimmer. Aber eine blieb. Um zu Lesen.
Ihre Neugierde war geweckt, sie glaubte zwar nicht, dass Judy ihn umgebracht hatte, doch etwas stimmte nicht. Schon vor 5 Jahren stimmte etwas nicht, damals hatte sie es nicht herausgefunden, aber diesmal würde sie es. Vielleicht könnte sie so auch den Mörder entlarven.
Ganz ungeniert ging sie in MacLeans Arbeitszimmer und durchsuchte leise die Schränke. Und sie fand interessantes: Einige Zeitungsausschnitte vom Juli ´99 und einen Batzen Briefe. Ihre Neugierde überwiegte, und so öffnete sie den ersten Brief:

"John,
wie konntest du nur! Du weißt genau, was du getan hast und schweigst! Du schweigst immernoch! Es hat schon jemanden das Leben gekostet, wie lang willst du mich damit quälen? Und was tue ich? Verleumde mein Kind, verschweige den Täter! Wie konntest du nur… ich hatte mehr von dir erwartet! Du, der du doch immer alles so perfekt gemacht hast, begehst einmal einen Fehler und willst ihn dann nicht eingestehen! So perfekt bist du nicht! Wenn du nicht zur Polizei gehst, werde ich es tun. Nichts kann mich abhalten! Ich schweige schon so lange, und er ahnt, dass ich weiß, wer sie getötet hat. Ich werde es ihm sagen. Und er wird zur Polizei gehen. Stell dich, ich halte das Schweigen nicht mehr aus, egal wie wichtig du mir bist, sie bedeutete mir alles! Auch wenn du es nicht tun wolltest, du hast es getan! Ich sag es dir zum letzten Mal: Stell dich!

Judy"

Das war der aktuellste Brief, die anderen klangen ähnlich, in manchen war Geld, das Judy zurückgeschickt hatte, doch was genau passiert war, stand nirgends. Doch diese Frage löste sich von selbst: Mrs. Robertson wusste, dass Judy eine Tochter, und zwei Enkel hatte. Doch Judys Tochter starb bei einem Autounfall… vor sechs Jahren. Der Fall war ungeklärt, war zu den Akten gelegt, aber Mrs. Robertson hielt den Beweis für den Schuldigen in der Hand: John MacLean. Aber Judy hatte ihn nicht umgebracht! Man konnte spüren, wie gefangen sie war: Einerseits hasste sie John für den Tod ihrer Tochter, andrerseits schien sie ihn zu lieben.
Mrs. Robertson musste alles wissen und so ging sie zu Judys Zimmer hinauf. Schon auf der Treppe hatte sie wieder das Gefühl, dass sie gleich etwas Wichtiges erfahren würde. Aus Judy Zimmer hörte sie eine Stimme: "Sag mir nicht, dass du es warst, BITTE, sag es nicht! Warst du hier? Hast du mir nachspioniert? ... Warum? Reicht ein Tod nicht! ... Wieso nur? Du weißt, dass er mir viel bedeutet hat, trotz allem. … Nein, komm nicht hierher! Nein! Ich bleibe noch die zwei Tage! … Komm besser nicht, auch bei Nacht. … Bitte tu…" Sie sprach zu leise, Mrs. Robertson konnte sie nicht mehr verstehen. Sie hatte Recht gehabt, Judy war es nicht gewesen, aber jemand anderes. Die Person, mit der sie am Telefon sprach. Schnell durchsuchte sie das Haus und fand was sie gesucht hatte: Das Haupttelefon des Hauses. Als sie es abhob, hörte sie nur noch wie Judy und eine Männerstimme sich voneinander verabschiedeten. Der Täter war ein Mann, aber wer? War es einer vom Klassentreffen? Wer konnte eine solche Wut gehabt haben? Oder war es der ER aus dem Brief? Ist ER nicht zur Polizei gegangen, sondern hat es selbst erledigt? Zu viele Fragen, zu wenig Hinweise und viel zu viele Widersprüche: Von wem war der Lippenstiftabdruck? Was hat Judy getan, dass lohnenswert wäre, ihr nachzuspionieren?
Doch so manch eine Frage sollte noch am selben Abend geklärt werden…
Beim gemeinsamen, stillen Abendessen entschuldigte sich Mrs. Robertson mit der Ausrede, sie fühle sich nicht wohl. Doch sie ging nicht in ihr Zimmer, sondern in Judys. Mal wieder durchsuchte sie dreist fremde Sachen und las in andererleuts Büchern. Diesmal war es ein Tagebuch, dass für des Rätsels Lösung die Antwort parat hielt. Zumindest für einige Fragen:

"3. Juli 2005
Nun ist es schon 6 Jahre her, dass meine Kleine gestorben ist. John schweigt immer noch. Ich auch, aber ich weiß nicht, wie lange ich es Timothy noch verschweigen kann. Immerhin war sie seine Mutter und er hat das Recht, zu wissen wer der Mörder ist. Ich selbst kann nicht zur Polizei. Dafür bedeutet er mir zuviel, er wollte sie nicht umbringen, er wusste ja nicht einmal, dass sie im Auto saß, aber er hätte anonym einen Krankenwagen rufen können und danach Fahrerflucht begehen können, wenn er schon zu feige war, für seine Tat zu büßen.
Ausgerechnet heute kam auch noch ein Brief von John. Eine Einladung zum Klassentreffen, mit der Bitte, doch schon früher zu kommen, da er etwas mit mir besprechen will. Es wäre dringend, und er flehe mich an, ihn anzuhören. Ich glaube, ich werde wirklich früher zu ihm fahren.
Morgen werde ich Timothy anrufen, und ihm alles sagen. Dann hat er 3 Tage Zeit, in denen ich nicht da bin, um alles der Polizei zu sagen. Ich hoffe, Timothy überstürzt nichts."
"4. Juli 2005
Timothy ist ausgerastet. Er hat etwas davon gesagt, er würde ihn umbringen und sich für seine Mutter rächen. Der Dreckskerl dürfe nicht ungestraft davon kommen. Mich hat er als feige beschimpft. Ich bat ihn, mir aber noch einen Tag Zeit zu geben. Ich muss John dazu bringe, sich selbst zu stellen, sonst tut Timothy es, wenn nicht Schlimmeres. Aber er weiß jetzt auch, dass ich irgendetwas für John fühle."

"5. Juli 2005
John versteht mich nicht. Er bat mich wieder einmal, ihm zu verzeihen, nur diesmal sagte er, er wolle sich stellen. Aber nur, wenn ich ihm eine Frage ehrlich beantworte: Ob ich etwas für ihn empfinde. Ich schrie ihn an, was er sich denke. Es wäre doch klar, dass ich Hass empfinden würde. Ruhig sagte er mir, er wollte das nicht wissen, das hätte er eh geahnt, er wollte wissen, ob ich seine Liebe erwidern würde. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Vor 60 Jahren hatte ich ihn geliebt, vor 50, vor 40, vor 30, all die Jahre, er hat aber nie etwas unternommen, und dann fragt er mich, warum ich wen anders geheiratet und mit jemand anderem Kinder bekommen habe, und all das fragt er mich 6 Jahre nachdem er am Tod meiner Tochter schuld ist. 12 Jahre nachdem mein Mann durch eine Krankheit starb. Warum hat er mich das nicht gefragt, als ich noch keinen Hass für ihn empfand. Ich schrie ihn wieder an, dass er ein Egoist wäre und immer erst dann fragte und Dinge tat, wenn es ihm passte, nie auf andere achte. Ich sagte alles was ich dachte. Dann konnte ich nur noch total aufgelöst aus dem Haus laufen. Ich, mit meinen 75 Jahren in eine Liebesgeschichte verwickelt? Samt Mord und Totschlag? Ich konnte nicht mehr. Zum Glück war sein Chauffeur Catherine von Bahnhof abholen gefahren, so waren wir allein gewesen. Ich rief mir ein Taxi und fuhr in die Stadt. Jetzt sitze ich in einem Café, trinke meinen Tee und weine. Warum kann mein Leben nicht einfach normal sein oder aufhören?"

"5. Juli 2005, zweiter Eintrag
John ist tot. Ich vergaß die Zeit im Café und kam zu spät bei John an. Die Polizei und die restlichen Leute aus der Klasse waren schon da. Dass Wohnzimmer ist abgesperrt, keiner darf mehr rein, wir sitzen in der Villa fest. Lucy beschuldigte mich gleich des Mordes, mal wieder in ihrem überheblichen Ton, den sie schon vor mehr als 60 Jahren besaß. Ändern Menschen sich denn nie? Ich verstehe nichts mehr. Wer hat John auf dem Gewissen? Wer konnte so etwas tun. Ja, ich hatte einen Grund, Timothy hat einen Grund, aber ich war's nicht und Timothy ist in Wales, nicht in Schottland. Wer dann? Ich muss Timothy anrufen.
Warum gerade jetzt. John hätte sich vielleicht doch gestellt. Und vielleicht hätte ich ihm in zwei, drei Jahren, falls wir dann noch am Leben wären, eine Chance gegeben.
Vielleicht…"

Gerade als Mrs. Robertson bedrückt und nachdenklich das Buch zurücklegen wollte, ging die Terrassentür auf. Ein junger Mann, Anfang 30, stand in der Tür und schaute sie verwirrt an. Da entdeckte er das Tagebuch.
"Was machen sie im Zimmer von Judy?" "Was machen sie in Judys Zimmer? Die Frage ist meinerseits auch berechtigt." "Wer sind sie? Sagen sie es! Für eine Schnüfflerin sind sie eigentlich zu alt." Der Mann sah Judy wie aus dem Gesicht geschnitten aus. "Sie sind Timothy, Judy Coppards Enkel. Nicht wahr?" In dem Moment kam Judy ins Zimmer. "Timothy, was machst du hier?" fragend schaute sie ihn an. Da entdeckte sie Mrs. Robertson samt Tagebuch "Catherine? Was machst du mit meinem Tagebuch. Gib es mir zurück!" Catherine ging auf sie zu und gab ihr das Tagebuch, schaute zu Timothy und sagte unverhohlen: "Du warst es. Du hast John umgebracht. Ich habe einige Briefe von Judy an John gefunden, euer Telefongespräch zum Teil gehört und die restlichen Fragen wurden mir durch dieses Tagebuch beantwortet. Du bist deiner Großmutter gefolgt, bist auch nach Schottland gefahren und als du deine Großmutter aufgelöst aus dem Haus hast rennen sehen, bist du ins Haus und hast John MacLean zur Rede gestellt. Er hat sich weiterhin geweigert zur Polizei zu gehen und du bist ausgerastet. War es so?" "Sie sind seltsam. In ihrem Alter eine Schnüfflerin.", sagte er abwertend, nur um in kühlem Ton fort zu fahren: "Aber sie haben zum größten Teil Recht. Ich bin meiner Großmutter gefolgt, gestern hat sie es mir gesagt, und als ich sie so Tränen überströmt aus dem Haus hab rennen sehen, konnte ich nicht anders, da bin ich zu ihm. Ich hab ihn zur Rede gestellt und hab ihm gesagt, dass ich alles weiß und zur Polizei gehen werde. Da sagte er nur "Deine Großmutter liebt mich. Sie wird es nicht zu lassen. Ich wollte das damals nicht, aber ich bin alt, ich werde mich nicht stellen, ich nehme die Tat mit ins Grab." Der Satz ´Deine Großmutter liebt mich` hatte mich getroffen. Ich hatte so etwas geahnt, aber das er mir das so offen ins Gesicht sagte! Und das er sich nicht stellen werde! Er wollte nicht einsehen, dass er das Leben meiner Mutter hätte retten können! Sie starb nicht sofort, sie starb nach STUNDEN. Er hatte mehrere Stunden Zeit, sie zu retten, und tat es nicht, er hätte Reue zeigen können, er tat es nicht, stattdessen sagt er ´Deine Großmutter liebt mich`! Und vorher bringt er meine Großmutter zum Weinen! Da hab ich das nächstbeste Messer genommen und ihn erstochen. Ich weiß nicht wieso, aber ich bereue es nicht. Gerade als ich aus dem Haus wollte, entdeckte ich auf einer Tasse Lippenstiftreste meiner Großmutter. Ich wollte nicht, dass jemand glauben könnte, sie wäre es gewesen, daher wischte ich den Lippenstift noch ab und lief dann davon.
Ich werde mich morgen stellen. Ich bin nicht so feige wie er." Judy konnte nicht mehr, sie umklammerte Timothy und fing an zu schluchzen: "Warum? Warum nur hast du das getan. Er wäre zur Polizei gegangen, wenn nicht, hättest du es tun können. Aber ihn töten? Zwei Menschen, die ich liebte habe ich verloren, nur noch du bleibst mir. Stell dich nicht, sie werden nicht herausfinden, wer es war! Ich brauche dich! Ich…" Mrs. Robertson stand betroffen daneben und faste einen Entschluss, der für eine "Schnüfflerin" unüblich war. "Wo haben sie das Messer hingebracht? Am besten sie schaffen es aus Schottland raus, und werfen es irgendwo ins Meer. Mehr Hinweise in Ihre Richtung gibt es nicht. Stellen sie sich nicht der Polizei. Judy hat schon genug Menschen verloren." Still schaute Timothy sie an. Dann nickte er leicht, strich seiner Großmutter noch mal über das Haar, drückte sie an sich, nur um sie dann vorsichtig loszulassen und ebenso leise wie er gekommen war, in die Nach zu verschwinden.
"Danke." Mit roten Augen schaute Judy Mrs. Robertson dankbar an. Diese lächelte leicht. "Es wird irgendwie weiter gehen. So wie es bei uns beiden doch schon seit 75 Jahren immerweiter geht.", sagte sie noch leicht sarkastisch. Danach ließ sie Judy allein.
Sie legte sich auf ihr Bett und musste den Kopf schütteln: Keine noch so gute Geschichte, könnte mit dieser mithalten. Es ist doch wirklich verrückt, was einem so passieren kann. Die Arme Judy hat so viele Menschen verloren. Erst den Mann an Krebs, dann die Tochter bei einem Autounfall, gleichzeitig den Glauben an John, und jetzt John MacLean, den, den sie seit so langer Zeit liebte.
Noch zwei Tage verbrachte die alte Klasse auf John MacLeans Grundstück. Beim Packen ihrer Sachen, fand Mrs. Robertson den Zettel mit den vier Zahlen. Jetzt verstand sie. Sie bedeuteten "3. Juli ´99", der Todestag von Judys Tochter. Seitdem hatte er aufgehört zu Rauchen. Er hatte doch Reue gezeigt, nur eben nicht oberflächlich.
Zu seinem Begräbnis einige Monate später kamen ebenfalls alle angereist. Sein ganzes Hab und Gut vermachte er Judy, die dadurch ins Fadenkreuz der Polizei geriet, aber sie hatte ein Alibi, einmal einen Kellner aus dem Café, und Catherine, die ja noch mit ihr telefoniert hatte, wie sie der Polizei glaubhaft vermittelte, und so wurde auch dieser Verdacht fallen gelassen. In einigen Jahren würde der nächste Mord verjährt sein. Aber Judy sollte einige Jahre später im selben Sessel wie John an Altersschwäche sterben.




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